5 Jahre SPIEGEL+ | Was das digitale Abomodell zum Erfolg macht
In diesen Tagen feiert eines der erfolgreichsten digitalen Abomodelle für Qualitätsjournalismus im europäischen Raum seinen Geburtstag: SPIEGEL+ wird fünf Jahre alt. Zwei Trends haben uns und viele andere Verlagshäuser in den vergangenen rund 20 Jahren massiv beeinflusst und die Entwicklung von SPIEGEL+ befördert.
Der erste Trend betrifft die Erosion der Werbeeinnahmen bei gedruckten und digitalen Medien: Zum Start des neuen Jahrtausends wurden pro Jahr mehr als 6.000 Anzeigenseiten im SPIEGEL gebucht, 2022 waren es noch etwas über 700. Zwischenzeitlich sah es so aus, als könnte das digitale Werbegeschäft die Ausfälle kompensieren, heute wissen wir, dem ist nicht so. Stammten also im Jahr 2000 noch mehr als zwei Drittel unserer Umsätze aus dem Verkauf von Anzeigen, hat sich das Verhältnis nun komplett gedreht. Rund 70 Prozent der SPIEGEL-Erlöse kommen heute direkt von unseren Leserinnen und Lesern.
Der zweite Trend ist die Verschiebung von Print hin zu Digital. Noch liegen die Erlöse aus dem Printgeschäft (Vertrieb und Vermarktung zusammen) über denen des Digitalgeschäfts. Aber die Richtung ist seit gut zehn Jahren eindeutig: Digital wird zur dominierenden Erlössäule. Und das, obwohl SPIEGEL ONLINE lange Zeit über gar kein Vertriebsmodell verfügte, das Angebot war also vollständig werbefinanziert.
Nimmt man beide Trends zusammen, ist der Schluss naheliegend: Die Zukunft gehört digitalen Bezahlangeboten.
How it started …
Nicht erst seit 2018 wissen wir also, dass wir unser Geschäftsmodell und unsere Organisationsstrukturen überprüfen und weiterentwickeln müssen, hin zu einer echten Pay-First-Strategie. Und wir sind deswegen auch schon wichtige Schritte gegangen, insbesondere bei der Fusion der Print- und Online-Redaktionen und dem Aufbau einer integrierten Produkt- und Vertriebseinheit. Doch welches neue Modell sich durchsetzen würde, das zum einen von Leser:innen akzeptiert und auf der anderen Seite die notwendigen Umsätze bringen würde, um Qualitätsjournalismus mittel- und langfristig zu finanzieren, war anfangs weniger klar und Quell steter Diskussion bei uns im Verlag und in der Branche.
Der erste echte Gehversuch war der Launch von SPIEGEL Plus (sic) im Juni 2016. Anstatt eines Abos konnten unsere Leser:innen einzelne Artikel für 39 Cent (!) kaufen, die über den Anbieter LaterPay bezahlt wurden, wenn eine gewisse Anzahl von Artikeln gelesen worden war — das gute alte Bierdeckelprinzip also. Schnell wurde aber klar, dass dieses Modell für uns nur ein mäßiger Erfolg sein würde. In guten Zeiten generierte SPIEGEL Plus monatliche Umsätze von rund 50.000 Euro. Also viel zu wenig, um auch nur ansatzweise unseren Journalismus finanzieren zu können. Auch unsere digitale Abendzeitung SPIEGEL Daily, gelauncht im Mai 2017, brachte zwar wertvolle Erfahrungen, aber nicht den gewünschten wirtschaftlichen Erfolg.
Die Erkenntnisse aus diesen ersten Bestrebungen, digitale Bezahlangebote am Markt zu platzieren, führten zum strategischen Wechsel hin zu einem Freemium-Abomodell. Andere deutsche und internationale Publisher hatten mit diesem Prinzip bereits erste Erfolge verbuchen können. Am 28. Mai 2018 war es dann auch bei uns so weit, SPIEGEL+ ging an den Start. Nach gut drei Monaten hatten wir 18.500 zahlungswillige Digitalenthusiasten für SPIEGEL+ eingesammelt — insgesamt hatten Ende August 2018 schon fast 100.000 Personen Zugriff auf SPIEGEL+ (inklusive Probeabos und überführter Digitalangebote). Mittlerweile sind es mehr als 325.000 Abonnent:innen und auch die symbolisch wichtige IVW-Melde-Marke von 200.000 in der Sparte Abonnement haben wir kurz vor unserem fünften Geburtstag durchbrochen.
… and how it’s going.
Also heißt es jetzt „mission accomplished“ und rosa Wölkchen zum Geburtstag? Ganz so einfach ist es nicht. Digitale Bezahlangebote sind für viele Verlage ein Erfolg, aber kein Selbstläufer. Und die trüben wirtschaftlichen Rahmenbedingungen machen das Geschäft nicht leichter. Zum Fünfjährigen blickt SPIEGEL+ also auf eine Fülle von Herausforderungen. Deshalb schauen wir noch stärker auf unsere Daten, denn dort finden sich viele der Antworten auf die Frage, wie SPIEGEL+ in den kommenden fünf Jahren weiterhin ein Erfolg bleiben kann.
Seit 2018 hat sich der Fokus, den wir in der Datenanalyse setzen, deutlich verändert. Während wir vor allem am Anfang die Zugänge im Visier hatten, kamen schnell auch die Kündigungszahlen hinzu — Stichwort: Haltbarkeiten. Im vergangenen Jahr entwickelten wir deshalb eine neue, für uns zentrale Metrik: Wir schauen uns an, wie viele unserer Abonnent:innen in den vergangenen sieben Tagen täglich bei uns auf der Seite waren. Wir sind ein Nachrichtenmedium, ein möglichst hoher Wert muss unser Anspruch sein. Gut 50 Prozent unserer Abonnent:innen kommen täglich zu uns.
Wir wollen unsere Produkte, Angebote, idealerweise auch unsere Abonnent:innen künftig noch vorausschauender entwickeln. Daher sind wir dabei, unsere Propensity- und Churn-Scores zu optimieren und unseren Engagement-Score zu entwickeln. Diese Scores sollen uns helfen, bei allen Aktivitäten informierter und dynamischer zu agieren, um mehr Abo-Abschlüsse zu generieren und Bestandskund:innen im Produkt zu halten.
Wir haben in diesem Kontext auch begonnen, maschinelles Lernen einzusetzen, um unsere unterschiedlichen Nutzungsscores zu berechnen. Damit steuern wir zum Beispiel unsere dynamische Paywall, die bestimmte Artikel für unterschiedliche Nutzerinnen und Nutzer mal kostenpflichtig und mal kostenlos ausspielt. Auf diese Weise optimieren wir auch unsere Conversions, indem wir potenziellen Kundinnen und Kunden mit hoher Kaufwahrscheinlichkeit dynamisch Angebote ausspielen. Zukünftig kann uns Künstliche Intelligenz dabei helfen, weiteres Wachstum bei digitalen Abonnements zu generieren, weil wir dann Paywalls und Angebote noch individueller steuern können.
Neben der besseren Klassifizierung von Inhalten und Nutzerfeedback, zum Beispiel im Kündigungsprozess, wird auch die weitere Dynamisierung und Personalisierung unserer CRM-Kanäle vom Einsatz Künstlicher Intelligenz profitieren. Die Optimierung von Conversion- und Retention-Raten sowie die Reduzierung von Churn-Raten haben dabei hohe Priorität.
Konkrete Maßnahmen haben wir aus unseren Indikatoren auch schon abgeleitet. Dem Churn begegnen wir beispielsweise mit der „Artikel verschenken“-Funktion. In den letzten drei Monaten haben zehn Prozent der Abonnent:innen das Feature genutzt und dabei im Schnitt rund drei Artikel verschenkt. Etwas mehr als 20 Prozent der Nutzer:innen waren dabei besonders aktiv und haben mehr als fünf Artikel verschenkt, während die Mehrheit bisher einen Artikel verschenkt hat.
Das Hauptziel des Features ist die Aufwertung des SPIEGEL+-Abonnements. Wir wollen unseren Abonnent:innen ermöglichen, die Inhalte des SPIEGEL mit ihrem Umfeld zu teilen, sei es beruflich oder privat. Gerade bei gesellschaftlich relevanten Debatten oder großen Recherchen ist es aus unserer Sicht wichtig, darüber auch mit Freund:innen, Arbeitskolleg:innen oder der Familie diskutieren zu können. Die Möglichkeit, SPIEGEL+-Artikel zu verschenken, unterstützt dies. Die Wirkung liegt bisher im Rahmen unserer Erwartungen mit deutlich positiver Tendenz. Detaillierte Auswertungen werden in den nächsten Monaten ein noch besseres Verständnis ermöglichen.
Natürlich erwarten wir uns neben der Aufwertung des SPIEGEL+-Abonnements auch Kontakte zu neuen Abonnent:innen. Die Neukundengewinnung steht aber nicht im Vordergrund. Die Neuabschlüsse halten sich daher bisher erwartungsgemäß in Grenzen.
Ein vollkommen neues Digitalangebot, ein Relaunch der Seite, redaktionelle Fusion und stringentere Markenführung haben uns die letzten Jahre dahin gebracht, wo wir jetzt stehen. Bis hierhin mit einem einheitlichen inhaltlichen wie kommerziellen Angebot für alle Abonnent:innen. Für die Zukunft wird es relevant sein, unser Angebot zu erweitern, ohne die Marke zu verwässern. Inhaltlich breiter und tiefer zu werden, ohne dass die Nutzer:innen sich im Angebot verlieren. Unsere Angebote zielgruppenspezifischer und gleichzeitig weiterhin nachvollziehbar zu gestalten. Dynamisierung und die segmentierte Ausspielung von Angeboten wird sicherlich eines von mehreren Mitteln sein, auf das wir zugreifen werden.
Warum wir glauben, dass das die richtige Entwicklungsrichtung ist? Und sind das letzte Optimierungen eines zunehmend langsamer wachsenden Digitalgeschäfts, das irgendwann unseren Journalismus finanzieren soll? NEIN! Wir wissen heute, dass von zehn Prozent der aktivsten Nutzer:innen auf unserer Seite, nur 20 Prozent ein aktives Abo haben. Das übersetzt sich in rund eine Million sehr aktive Nutzer:innen, denen wir noch nicht den ausschlaggebenden Inhalt oder das richtige Angebot zur richtigen Zeit ausgespielt haben, um sie von SPIEGEL+ zu überzeugen. Wir haben es also selbst in der Hand, das zu ändern. Und das macht uns große Hoffnung für weiteres relevantes Wachstum.
Eigentlich doch ein schönes Ende für diesen Beitrag. Aber ohne ein konkretes neues Feature, das wir als nächstes live bringen, wollen wir den Artikel nicht schließen. Digitalangebote „erfreuen“ sich einer großen „Teilungsbereitschaft“ seitens der Nutzerschaft. Was für das Streaming gilt, gilt auch für SPIEGEL+: Viele Kund:innen teilen sich ihren Zugang mit der Familie, Freundinnen, Bekannten oder im Kollegenkreis. Wir planen deshalb verschiedene Arten von Multiuser-Accounts einzuführen.
Als erstes werden wir im Laufe des Sommers ein Duo-Abo auf den Markt bringen, bei dem Kund:innen ihr Abo mit einer weiteren, im gleichen Haushalt lebenden Person teilen können — gegen einen kleinen Aufpreis versteht sich. Gleichzeitig beschränken wir den Zugang auf ca. fünf Parallelzugriffe pro Kundenkonto. Warum „ca.”? Weil wir uns aktuell noch an die richtige Zahl „herantesten“. Für den Vertrieb und die Produktentwicklung ist der digitale Raum ein echter Segen. Seit der Einführung von SPIEGEL+ untersuchen wir mit kleinen Testgruppen so unkompliziert Anpassungen an unsere Angebote, wie wir es bei Print niemals gekonnt hätten. Und so ist es auch beim Duo-Abo. Wir bewerben das Angebot aktuell noch nicht, da wir erst Erfahrungen sammeln wollen. Ob das ein Erfolg wird? Wir werden es herausfinden und hier berichten.
Klar, Krisen sind gut für den Journalismus, den wir machen. Aber was interessiert unsere Abonnent:innen? Was lesen sie? Welche Inhalte ziehen sie ins Abo? Dazu haben die Kolleginnen und Kollegen der SPIEGEL-Redaktion recherchiert.