Wieso wir den digitalen SPIEGEL jetzt auch pur anbieten

DEV SPIEGEL
5 min readFeb 10, 2020

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Werbung im Internet hat sich immer wieder grundlegend gewandelt. Von blinkenden GIF-Anzeigen über Googles Textlinks und große Flash-Animationen bis zu den datengetriebenen Targeting-Systemen von heute ist ein hochentwickeltes System entstanden, das die Finanzierung vieler digitaler Angebote sicherstellt – von Anfang an auch jener der SPIEGEL-Gruppe. Gewandelt hat sich über die Jahrzehnte auch immer wieder die Kritik an Werbung im Internet, vom Ärger über zu viel Geflimmer oder irreführende Präsentationsweisen bis hin zu Klagen über Anzeigen, die durch Tracking und Targeting über viele Webseiten hinweg ausgespielt werden.

Natürlich fühlen sich nicht alle Nutzer*innen gleichermaßen gestört. Den meisten ist klar, dass Werbeeinnahmen essentielle Erlöse für viele Webseiten sind; den wenigsten sind die genauen finanziellen Zwänge und Abhängigkeiten im sich schnell wandelnden Werbemarkt bekannt; den meisten sind die genauen Mechanismen im Hintergrund unklar; zugleich nutzen die wenigsten existierende Datenschutzmöglichkeiten. Und parallel wächst der politische und regulatorische Druck, für Werbe- und Data-Technologien klare Zustimmungen einzuholen — allerdings ohne dass der datenschutzrechtliche Rahmen nach den DSGVO- und E-Privacy-Debatten schon sauber ausdefiniert wäre.

Für uns rückte deshalb in den vergangenen Monaten eine wesentliche Frage in den Vordergrund: Wie können transparente Kommunikation und faire Lösungsangebote in den kommenden Jahren dazu beitragen, stabile Anzeigenerlöse zu sichern oder Alternativen zur Werbefinanzierung zu eröffnen? Unterschiedlichste Nutzerreaktionen haben uns dabei zu einem grundlegend neuen Angang an Werbung und Datentechnologien geführt. Wir gehen nach den auf vielen Ebenen irritierenden Diskussionen einen anderen Weg als derzeit üblich und geben unseren Nutzer*innen eine eigene Hoheit darüber, wie sie zu Anzeigen und Werbetracking in unseren Angeboten stehen. Sie können und müssen künftig die Wahl treffen, ob sie unsere digitalen Angebote weitgehend anzeigen- und werbetrackingfrei lesen wollen und dafür einen Beitrag bezahlen — oder ob sie Anzeigen und Tracking zulassen und sinngemäß mit ihren pseudonymisierten Daten bezahlen.

Unser neues PUR-Abo, benannt in Analogie zum österreichischen „Standard“, der die Idee vor uns hatte, kostet 4,99 Euro im Monat. Für Abonnent*innen unseres Bezahlangebots SPIEGEL+ sind es rabattiert nur 1,99 Euro, weil sie bereits zur Finanzierung unseres Journalismus beitragen. Unsere digitalen Angebote (zunächst spiegel.de, später auch die anderen Webseiten unserer Gruppe) werden nur noch zu nutzen sein, wenn man noch vor der ersten sichtbaren Seite entweder Anzeigen und Tracking zulässt — oder stattdessen ein PUR-Abo abschließt, in dem bis auf Randbereiche wie Podcasts alle Anzeigen verschwinden und nur noch geschäftskritisches Tracking übrig bleibt, zum Beispiel die Nutzungsmessung für unsere eigenen, internen Analysen, die nicht an Werbekunden gehen.

“Ich würde dafür bezahlen, Anzeigen ausschalten zu können und nicht mehr werbegetrackt zu werden”

Diesen Satz haben wir in den vergangenen Jahren gerade in der Diskussion um Adblocker immer wieder gehört, wie viele andere Medienunternehmen. Er hat uns in der Grundidee des PUR-Abos bestärkt, denn er gibt eine neue Antwort darauf, wie sich journalistische Angebote im Netz finanzieren können.

Klar ist: Die alten Zeiten Performance-unabhängiger Werbung sind passé. Für sie gibt es schlicht zu wenig Nachfrage. Mit ihr ein vollwertiges Qualitätsmedium zu unterhalten, ist nahezu unmöglich. Klar ist auch, dass es für uns keine Lösung gewesen wäre, über SPIEGEL+ hinaus alle Inhalte einer Bezahlpflicht zu unterwerfen — oder alternativlos eine Zustimmung zu Anzeigen und Tracking zu fordern, ohne die man das Angebot schlicht nicht mehr nutzen könnte. Viele Nutzer*innen schätzen die in den vergangenen Jahrzehnten auch auf Basis maßgeschneiderter Werbung entstandene Möglichkeit, Qualitätsmedien kostenlos lesen zu können und dafür nicht jedes bezahlen zu müssen. Die meisten Nutzer*innen wissen zugleich, dass hinreichende Erlöse für Qualitätsmedien unverzichtbar sind und diese Erlöse deren Unabhängigkeit sichern. Ohne Einnahmen aus Perfomance-orientierter Werbung oder Leser*innen-Erlöse ließen sich, wenn überhaupt, digitale Anzeigenblättchen finanzieren, aber nicht Qualitätsmedien.

Darum geben wir nun unseren Nutzer*innen die Möglichkeit, zu entscheiden, wie sie uns nutzen wollen und wie wir finanziert werden sollen: Entweder im freien Bereich mit Werbung/Werbetracking komplett kostenlos (abgesehen von unseren Premium-Artikeln von S+ natürlich); mit einem reinem PUR-Abo ohne Werbung/Werbetracking für die erwähnten 4,99 Euro im Monat, wenn man kein S+ hat; oder eben für S+-Abonnent*innen gegen einen Aufpreis von nur 1,99 Euro. Die Möglichkeit einer dauerhaften Nutzung ganz ohne jede Gegenleistung bieten wir jedoch weiter nicht.

Damit bleibt unsere Nachrichtenseite ein im Prinzip generell zu „bezahlendes“ Angebot — auch wenn sich für viele das Bezahlen mit einem „Ja“ zum Anzeigentargeting nicht immer als „Bezahlen“ anfühlte und anfühlt. Die zukünftig von den Nutzer*innen ausdrücklich zu treffende Wahl wird weiter dafür sensibilisieren.

Die Umsetzung des PUR-Abos war komplex. Im Hintergrund standen viele Einzelmaßnahmen, um die verschiedenen Themen sauber auseinanderzusortieren. Geholfen hat, dass wir mit dem NextGen-Relaunch-Projekt die komplette Struktur unserer digitalen Angebote inklusive aller Tracking- und Anzeigenintegrationen neu aufgebaut haben und die Deaktivierung auf Nutzerwunsch von Anfang an berücksichtigen konnten. Damit war es allerdings nicht getan. Wir haben parallel Adobe Analytics als Haupt-Analysedienstleister angeschafft, wo die Messung unserer Webseiten-Nutzung garantiert nur für interne Zwecke geschieht. Wir haben jedes einzelne andere Reichweiten-Messtool, das wir für unsere eigenen Analysen nutzen, und jeden Dienstleister darauf geprüft, ob nebenher womöglich auch Werbezwecke bedient werden. Außerdem haben wir jede der vielfältigen Werbeformen auf unseren Seiten hinterfragt. Über jeden Link, den wir aus unserem Hauptangebot zum Beispiel auf einen SPIEGEL-Marktplatz oder ein anderes Partner-Subprodukt gesetzt haben — etwa unser Gutscheinportal oder die Spiele-Seiten — , musste je nach Position entschieden werden. Auf die allermeisten verlinken wir PUR-Abonnent*innen höchstens noch in klar benannten Randzonen unserer Nachrichtenseite; diese Angebote müssen als Anbieter dann den Datenschutz selbst sicherstellen. Alle kleineren Ausnahmen von der Werbefrei-Regel, die ja durchaus produktlogisch begründet sein können — etwa Kauf-Links in Produkttests — , sind in der PUR-Erklärung beschrieben und in aller Regel an-/ausschaltbar. Nur bei einzelnen Werbeformen — etwa in Podcasts — sind wir derzeit machtlos, Anzeigen auszublenden, arbeiten daran aber weiter und erklären dies auch (wobei es in Podcasts derzeit ohnehin kein Tracking gibt).

Unser neues Lösungsangebot ist nicht nur ein Ansatz, die Datenschutzthemen zu adressieren, vor denen alle Medienunternehmen im Internet derzeit stehen. Auch für die Frage, wie Nutzer*innen mit Adblockern umgehen, werden sich hier neue Lösungschancen eröffnen. Gegebenenfalls setzen wir hier mit dem PUR-Abo neu an. In jedem Fall werden wir beobachten, wie das neue Angebot angenommen wird, bei Gelegenheit berichten — und das Modell weiterentwickeln.

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