Wie unser PUR-Angebot für werbefreies Lesen ankommt

DEV SPIEGEL
5 min readNov 9, 2020

Wie stark stört Werbung im Internet wirklich? Wird sie von Leser*innen als eine Art Gegenwert akzeptiert, damit sich journalistische Nachrichtenangebote finanzieren können? Die Frage polarisiert seit vielen Jahren — jetzt finden wir im SPIEGEL allmählich eine realistische Antwort. Seit Einführung unseres PUR-Abos im Februar läuft eine Art Live-Test: Leser*innen müssen sich entscheiden, ob sie uns lieber wie gewohnt mit Werbung und Anzeigentracking nutzen wollen oder ob sie stattdessen 4,99 Euro im Monat bezahlen, respektive 1,99 Euro für Abonnent*innen.

PUR-Vorschaltseite in der aktuellen Version — seit dem Start wurde sie noch mit zusätzlichen Erklärhinweisen für möglichst transparente Kommunikation versehen

Die aktuellen Zahlen nach einem Dreivierteljahr legen nun nahe, dass hier nicht nur eine neue Lösung entstanden ist, um wirtschaftlich und datenschützerisch transparent Leser*innen eine Wahl zu geben, sondern auch ein neues Geschäftsmodell für Medienunternehmen. Von den mehr als 20 Millionen Unique Usern, die monatlich zu uns kommen, haben sich rund 17.200 für ein PUR-Abo entschieden und lesen derzeit werbefrei. 17.200 versus 20 Millionen, das ist auf den ersten Blick ein geringer Bruchteil — in der Medienbranche dürfte dies als Bestätigung aufgefasst werden, dass Werbung und Werbe-Tracking bei unserem Publikum weithin gebilligte Finanzierungsmodelle sind. Das ist im Grundsatz auch unsere Einschätzung. Doch auf den zweiten Blick bieten sich noch mehr Erkenntnisse.

Die mehr als 20 Millionen monatlichen Unique User kommen natürlich nicht alle täglich vorbei. Im Tagesschnitt haben wir in der Regel mehr als 4 Millionen Leser*innen. Je nach Perspektive haben in einer Überschlagsrechnung also weniger als ein Promille unserer monatlichen respektive etwas mehr als vier Promille unserer täglichen Leser*innen PUR gebucht. Hochgerechnet zahlen diese aber für das PUR-Abo auf Jahressicht gut eine halbe Million Euro — was aktuell in etwa einem Prozent unserer Online-Werbeumsätze entspricht. (Der Einfachheit halber ist alles ohne unsere manager-Wirtschaftsgruppe gerechnet, das PUR-Abo gilt für beide.) Der genaue Stand Anfang November:

  • 3032 haben PUR auf der Webseite für 4,99 Euro gekauft, 3508 in den Apps (dort Revshare für Apple und Google).
  • 10.704 haben PUR in Kombination mit einem SPIEGEL+-Abo für 1,99 Euro gekauft.

Die meisten haben erwartungsgemäß bei der Einführung des Angebots zugegriffen. Wir wussten aus Mails und anderem Feedback schon vorher, dass sich ein Teil unserer Leser*innen eine solche Alternative wünscht, deshalb der starke Ausschlag zu Beginn. Übers Jahr haben wir begonnen, die Präsentation zu optimieren und zum Beispiel im Videoumfeld dafür zu werben; entsprechend gehen die Zahlen in den vergangenen Wochen klar nach oben. Die durchschnittliche Haltedauer — wie viele Monate Nutzer*innen bei PUR bleiben — ist logischerweise noch begrenzt aussagekräftig, weil das Angebot erst im Frühjahr gestartet ist. Natürlich testen einige Leser*innen PUR mal aus und entscheiden sich dann doch für Werbung; viele allerdings empfinden nach unseren Rückmeldungen die Seite als deutlich schneller und angenehmer zu lesen und bleiben deshalb dabei.

Aus wirtschaftlicher Sicht sehen wir damit, dass sich neben dem anhaltenden starken Wachstum unseres Abos SPIEGEL+ und dem klassischen, unter Druck geratenen digitalen Werbemarkt hier eine neue Erlösquelle auftut, die mögliche Anzeigenverluste auszugleichen hilft. Angesichts der Folgen der Corona-Krise und der Risiken der Post-Cookie-Werbewelt ist es hilfreich zu wissen, dass sich neben gewöhnlichen Abo-Modellen für Inhalte auch erweiterte Angebote für Features wie Werbefreiheit etablieren können.

Wie es anfing, wie es läuft

Die Einführung von PUR auf unserer Seite verlief am Ende relativ ruckelfrei. Am spannendsten war, wie viele Leser*innen sich augenblicklich erschrecken über die harte Alternative, die letztlich aussagt: „Bitte mit Werbefreigabe bezahlen oder mit Geld“, und sofort wieder gehen. Und tatsächlich gehen zunächst 30 Prozent der Leser*innen zurück, wenn sie diese Auswahl zwischen Werbung und PUR-Abo erstmals zu sehen bekommen. Allerdings nivelliert sich dieser Effekt über die Zeit. Leser*innen stoßen ja immer wieder auf den SPIEGEL, irgendwann setzen sie sich mit der Frage auseinander und entscheiden sich.

Entsprechend haben wir bis auf die allerersten Tage, in denen alle Leser*innen auf einmal die Vorschaltseite zu sehen bekamen und der Effekt am größten war, keinen Reichweitenrückgang gesehen. Dieser gute Verlauf bestätigt auch, dass Leser*innen bei transparenter Kommunikation sehr wohl verstehen, dass sie mit der Akzeptanz von Werbung auf ihre Art für Journalismus bezahlen, und sich bewusst entscheiden: Wer nicht zurück klickt, klickt zu 92,3 Prozent gleich auf „Akzeptieren“, und die anderen schauen sich das PUR-Angebot genauer an. Davon kauft dann nur ein gewisser Teil.

Zu- und Abgänge zum PUR-Angebot (ohne Käufe über die App-Stores)

Das PUR-Angebot war intern zunächst als Experiment angelegt, nachdem eir es beim “Standard” in Österreich erstmals erfolgreich in Aktion gesehen haben. Tatsächlich haben wir rasch Zuspruch auch von Datenschutzbehörden bekommen, und inzwischen haben mehrere Medien im deutschsprachigen Raum mit entsprechenden Angeboten nachgelegt. Das Interactive Advertising Bureau (IAB) Europe, das international Standards im digitalen Werbegeschäft setzt, hat das Modell kurzfristig als Alternative in Richtlinien zur nötigen Werbezustimmung von Nutzer*innen aufgenommen (die ansonsten die deutlich komplexeren Werbedialoge auf Webseiten regeln):

„… a Publisher shall not be required to allow a user to make granular and specific consent or opt-in choices if the Publisher implements a way for the user to access its content without consenting through other means, for example by offering paid access that does not require consenting to any Purposes. For the avoidance of doubt, all other Policies remain applicable.“

Die Erfahrungen mit dem PUR-Angebot ermuntern uns, auch an anderen Stellen jahrzehntelang tradierte Gewohnheiten des Digitalgeschäfts zu hinterfragen. Eine der größten Herausforderungen der kommenden Jahre wird sein, dass wir für unsere Geschäftsmodelle unsere Nutzer*innen besser kennen müssen als bisher. Wie im englischsprachigen Raum schon zu sehen, werden Logins und direkte Kundenbeziehungen wichtiger, sowohl für die Abo-Vermarktung als auch im Anzeigenmarkt, weil man sonst gegen die Daten-Giganten Facebook und Google kaum noch Chancen hat. Derzeit diskutieren wir noch, wie wir in den Prozess Nutzer*innen gut einbinden können. Dass es aber möglich sein wird, dass sie sich bei uns künftig öfter registrieren und anmelden als bisher, obwohl das jahrelang nicht nötig war — daran zweifeln wir seit dem PUR-Modell weniger.

(Englische Version des Textes hier.)

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