SPIEGEL Debatte: Community neu gedacht

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6 min readMar 12, 2024

Nach Monaten der Entwicklung löste SPIEGEL Debatte Anfang Dezember 2023 den bisherigen Kommentarbereich unter Artikeln auf SPIEGEL.de ab. Der neue Debattenbereich ist übersichtlicher, moderner und nutzungsfreundlicher. Und mit mehr als 200.000 registrierten Nutzer:innen innerhalb von drei Monaten, ist er ein gelungener Neustart für die Leser:innenbeteiligung auf SPIEGEL.de.

Illustration: Patrick Mariathasan / Komposition: Johanna Krauel, DER SPIEGEL

In der bisherigen Community liefen in der Spitze 1,7 Millionen Einzel-Postings pro Monat unter Hunderten Artikeln ein — gleichzeitig beteiligten sich nur 5 Prozent aller Nutzenden regelmäßig aktiv. Ein sinnvolles Community-Management war angesichts dieser Masse an Kommentaren und Diskussions-Threads nicht zu leisten. Der alte Kommentarbereich war auch technisch, optisch und konzeptionell den Notwendigkeiten der Zeit nicht mehr gewachsen und genügte zuletzt weder unseren Ansprüchen noch denen der Nutzer:innen.

Deshalb haben wir uns für einen Neustart entschieden: Nach vielen Monaten Strategie-, Research- und Projektarbeit bieten wir unseren Nutzer:innen seit Anfang Dezember 2023 einen grundlegend erneuerten Communitybereich für den Leser:innendialog auf SPIEGEL.de an: SPIEGEL Debatte. Damit ist das alte Forum unter den Artikeln auf SPIEGEL.de Geschichte und eines der letzten Überbleibsel der SPIEGEL-ONLINE-Ära vom Netz genommen.

Der Relaunch-Prozess begann mit der Frage, wie stark eine eigene Community gebraucht wird, und ob sie überhaupt noch zur Markenbindung beitragen kann. Qualitative Interviews mit unseren Nutzer:innen ergaben, dass es insbesondere ein Interesse am Debattieren mit anderen Nutzer:innen unter Beteiligung der Redaktion gibt.

„Die globale Zielsetzung war während des gesamten Entwicklungsprozesses klar: Quantität senken, Qualität steigern“, sagt Community-Teamleiterin Aleksandra Janevska.

Durch den Austausch mit unserer Community möchten wir ein größeres Verständnis für Themen gewinnen, die unsere Leserschaft bewegen. Und um gleichzeitig einen Mehrwert für das digitale Abonnement zu schaffen, holen wir mit SPIEGEL Debatte auch den Leser:innendialog in die Ära der Pay-first-Strategie.

Workflow: Vom Thema zur Debatte

Inhaltliches Kernelement von SPIEGEL Debatte ist jeweils eine redaktionell ausgewählte Frage des Tages, die Nutzerinnen und Nutzer kommentieren können. Diese Frage kann sich am täglichen Leitartikel orientieren oder aus völlig anderen Themenbereichen kommen. Zudem können ausgewählte Beiträge aus dem Ressort Meinung und Debatte (Kommentare, Kolumnen, Gastbeiträge) anhand konkreter Fragestellungen debattiert werden.

Auch unsere Nutzer:innen können eigene Debattenvorschläge einreichen. Ob ein Vorschlag angenommen wird, hängt nicht nur von der redaktionellen Auswahl, sondern auch von den Wünschen der Community ab: Denn die Vorschläge müssen zunächst von anderen Nutzer:innen als relevant bewertet werden, bevor sie in der redaktionellen Planung stärker berücksichtigt werden.

Das Einreichen von Debattenvorschlägen ermöglicht Nutzer:innen die Mitgestaltung des Austauschformats SPIEGEL Debatte / DER SPIEGEL

Bei der Auswahl passender Debatten helfen verschiedene Kriterien. Einerseits legen wir unseren journalistischen Anspruch nach Aktualität und Relevanz auch auf die Debattenfragen an; andererseits ist es uns wichtig, dass auch lebensweltliche Themen Platz in der Diskussion finden. Wesentlich für alle Debatten ist, dass die Frage mit »Ja« oder »Nein« beantwortet werden kann. Das erleichtert den Einstieg und die Nachvollziehbarkeit der Beiträge.

Die jeweilige Frage des Tages ist über ein Widget auf der Startseite von SPIEGEL.de eingebunden und wird in thematisch passenden Artikeln angeteasert. Nach etwa 24 Stunden schließen wir die jeweiligen Kommentarbereiche, die Beiträge bleiben aber auf der Debatten-Centerpage einsehbar.

In Artikel eingebettete Widgets ermöglichen den schnellen Absprung in die Debatte / DER SPIEGEL

Zugriffsberechtigung: Teilnahme nur mit SPIEGEL+-Abo

Im Sinne unserer Pay-first-Strategie können lediglich Abonnentinnen und Abonnenten von SPIEGEL+ aktiv an der Debatte teilnehmen und alle Interaktionsmöglichkeiten nutzen. Auf SPIEGEL.de eingeloggte Nutzerinnen und Nutzer können Debatten mitlesen, sich aber nicht aktiv beteiligen. Um diese verschiedenen Zugangsmöglichkeiten zu verwalten, wurde ein Zugangsflow entwickelt, der über ein encrypted JSON Web Token (JWT) authentifiziert wird. Beim Zugang zu SPIEGEL Debatte wird so der Account-Status von SPIEGEL.de an die Anwendung übergeben: Nur ins SPIEGEL-Konto eingeloggte Nutzer:innen mit SPIEGEL+-Abo haben vollen Zugang und werden automatisch in den Profilerstellungsprozess geleitet, wenn sie das erste Mal in die Anwendung kommen. Eingeloggte Personen ohne Pay-Status haben zwar Zugang zu SPIEGEL Debatte, allerdings nur in einem Read-only-Modus ohne Interaktionsmöglichkeiten. Nicht eingeloggte Nutzer:innen gelangen nicht in den Debattenbereich, sondern auf eine Landingpage mit Erläuterung des Produkts und Vorschau aktueller Debatten.

Scribbles aus den ersten Absprachen zur Zugangsberechtigung / Komposition: Jonas Zwierzynski, DER SPIEGEL

Einsatz von KI: Maschinelle Unterstützung bei der Moderation

Durch die Zugangsbeschränkung wird nicht nur ein neuer Vorteil für Abonnent:innen geschaffen, sondern auch die Quantität der Beiträge zu Gunsten der Qualität gesenkt. Wir versprechen uns davon, die Diskussionen besser kuratieren und publizistischer gestalten zu können, sowie den Aufwand für das Moderationsteam kontrollierbarer zu machen. In der Vergangenheit hat sich das System bewährt, menschliche Moderationsentscheidungen durch eine maschinelle Vorsortierung zu unterstützen. Daher wird auch bei SPIEGEL Debatte auf den Einsatz eines Moderationsalgorithmus gesetzt: Perspective.

Einstellungen zur Funktion der Moderations-KI im Admin-Panel

Mithilfe maschinellen Lernens kommt so ein Modell zum Einsatz, das auf Grundlage von Millionen Kommentardaten Entscheidungen darüber trifft, ob ein Beitrag zur Debatte zugelassen, abgelehnt oder in die Hände eines menschlichen Entscheiders oder einer Entscheiderin gelegt werden sollte. Auf Grundlage verschiedener Attribute wie Toxizität, persönlicher Angriff oder auch Obszönität wird ein Score berechnet, dessen Schwellenwert auf die Moderationsziele des SPIEGEL angepasst ist.

Dienstleisterauswahl: Eine neue Kommentarplattform mit Logora

Eine neue Produktstrategie mit Fokus auf qualitativ hochwertige Debatten zwischen Abonnent:innen, technische Anforderungen an die Anbindbarkeit unserer Systeme, redaktionelle Anknüpfungsmöglichkeiten und Moderationsworkflows: Der neue Bereich für Leser:innendialog sollte viele Anforderungen erfüllen, die in die Suche nach einem geeigneten Dienstleister eingeflossen sind.

Mit dem französischen Anbieter Logora haben wir einen Partner gefunden, der bereits mit einem innovativen, kreativen und flexiblen System auf dem Markt war, auf das wir entsprechend unseres Bedarfs aufbauen konnten. Innerhalb eines halben Jahres haben wir gemeinsam Anforderungen an Produktlogik, Bedienbarkeit in Front- und Backend, Technik und Design analysiert und sukzessiv umgesetzt. Die Integration auf SPIEGEL.de ist die erste Anwendung eines deutschen Publishers von Logora.

Aufbau: Die Features von SPIEGEL Debatte

Kern des Produkts von Logora — und nun auch Kern von SPIEGEL Debatte — ist die Anordnung von Beiträgen in zwei Antwortspalten: Pro und Contra oder Ja und Nein. Das regt schreibende Nutzer:innen dazu an, das Für und Wider eines Themas abzuwägen und sich mit Ihrer Meinung klar zu positionieren; lesende Nutzer:innen profitieren von einer besseren Übersicht durch die optische Trennung beider Argumentationsstränge.

Daneben zeichnet sich der neue Debattenraum durch viele weitere Features aus. Um nur einige zu nennen:

  • Abstimmungen: Sehen, wie andere Nutzer:innen denken, auch ohne alle Beiträge zu lesen.
  • Empfehlungen: Von der Redaktion ausgewählte Beiträge zuerst lesen und die relevantesten Argumente einer Debatte sofort im Blick haben.
  • Profil: Im eigenen Profil eine Kurzbeschreibung hinterlegen, Interessen anzeigen lassen und die Kommentarhistorie speichern.
  • Benachrichtigungen: Onsite-Notifications bei Zustimmungen, Antworten und anderen Aktivitäten.
  • Debattierpunkte: Belohnungen für gute Beiträge und Antworten, Zustimmungen von anderen Personen und dafür, dass ein Debattenvorschlag ausgewählt wurde.

Launch und Weiterentwicklung

Der 5. Dezember2023 markiert für uns einen wichtigen Meilenstein: Mit dem Abschalten des alten Kommentarbereichs und dem grundlegend neuen Aufbau von SPIEGEL Debatte haben wir einen großen und wichtigen Schritt für den Neuanfang unserer Onsite-Community geschafft. Für die User:innen passierte der Relaunch nahezu geräuschlos — Abonnent:innen mussten nur ihre alten Log-ins durch die oben beschriebene Registrierung im Debattenbereich erneuern.

Bereits in den ersten sieben Stunden haben sich 10.000 Personen in der neuen Community registriert, 100.000 waren es nach den ersten zwei Wochen. Nach drei Monaten haben sich bereits 60 Prozent unserer Abonnent:innen angemeldet und können somit aktiv kommentieren, abstimmen und mitmachen.

Obwohl der Anteil, der durch das Moderationsteam angenommenen User:innen-Beiträge, nicht gesenkt wurde, stellen wir eine qualitativ beobachtete Verbesserung der Debattenkultur fest. Damit sich dieser positive Trend fortsetzt, ist eine enge Betreuung durch das redaktionelle Moderationsteam ebenso notwendig wie eine Weiterentwicklung der Features.

Um das Produkt stets entlang der Nutzer:inneninteressen zu entwickeln, bleiben wir im engen Austausch mit den Debattierenden. Uns hat bereits viel Feedback per E-Mail erreicht, und auch mithilfe von Befragungen, Interviews und Analysen der Nutzungsdaten werden wir SPIEGEL Debatte kontinuierlich weiterentwickeln.

Kontakt: Laura Badura und Roja Kunze

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