Polygon — wie die modulare Architektur des neuen digitalen SPIEGEL funktioniert

DEV SPIEGEL
6 min readJan 11, 2020

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Der Relaunch unserer Webseite ist mehr als ein neues Design und eine Umbenennung von SPIEGEL ONLINE zum SPIEGEL. Die Runderneuerung unseres digitalen Angebots bedeutet auch eine grundlegende technische Modernisierung nach zwei Jahrzehnten. Die modulare Architektur von Polygon, die von der SPIEGEL Techlab entwickelt wurde, bedeutet einen Bruch mit der klassischen Logik von allumfassenden Redaktionssystemen — und wird in den kommenden Jahren die umfassende Reform des redaktionellen Arbeitens zwischen Print und Online unterstützen.

Polygon: Der Name der neuen Architektur ist bewusst gewählt. Das System ist nicht nur Cloud-basiert und auf Sicherheit sowie Skalierbarkeit angelegt, sondern kann vor allem Zug um Zug um neue Elemente erweitert werden.

Architektur von Polygon: Aufbau des Systems aus einzelnen Elementen und Komponenten

2018 begann die Techlab, den Markt der Content-Management-Systeme (CMS) nach einem passenden für den neuen digitalen SPIEGEL zu sondieren. Dabei erwies sich rasch, dass die klassischen CMS-Anbieter erstens die Anforderungen oft nicht so bedienen konnten, wie wir uns es vorstellten — wir brauchen ein System, das leicht auf die Bedürfnisse unserer verschiedenen Marken auf den verschiedenen digitalen Plattformen adaptierbar ist, das also ohne enormen eigenen Personaleinsatz eigenständig entwickelte Produkte ermöglicht. Zweitens waren oft die Preise zu hoch.

Zugleich hatten wir von vornherein die Lösung ausgeschlossen, ein Redaktionssystem komplett selbst zu entwickeln. Die Arbeit mit dem bisherigen Eigenbau-System CE hatte klargemacht, dass das angesichts der Komplexität heutiger digitaler Produktlandschaften nicht wirtschaftlich wäre. Angesichts des nötigen Entwicklungstempos und der Komplexität unserer Produkte — mit mehreren Webseiten von SPIEGEL über bento und manager magazin bis Harvard Business manager, mit digitalen Ausgaben und Plattform-Versionen etwa für AMP, nicht zuletzt mit Print-Online-Reformen im Hintergrund, die eine einheitliche CMS-Lösung für alle Redakteure auf allen Kanälen nötig werden lässt — schied diese Option aus.

Modularität war schließlich die Antwort auf die Herausforderung: Statt ein allumfassendes System entweder als Dienstleistung einzukaufen oder selbst zu programmieren, haben wir mit Polygon eine Architektur geschaffen, die passende CMS-Teilprodukte über Schnittstellen so klug verwebt, dass sie im Zusammenspiel unsere Bedürfnisse erfüllen. Die Teilprodukte sind vielfältig: der günstige, aber kraftvolle Editor Statamic als digitales Schreib- und Produktionsprogramm für die Redaktion, Frontend-Tools für die Darstellung der Webseite, ein Audio-Player aus unserem VAMP-Projekt, Plenigo als Bezahldienstleister für unsere Paywall, Digas als unser Archivsystem… Alle Module ranken sich um eine zentrale Content-Storage, in der alle Inhalte abgelegt sind und auf die alle Tools zugreifen können.

Grundlogik von Polygon: An Content-Storage und -Service docken andere Module wie ein Editor für die Redaktion an — aktuell das kraftvolle Tool Statamic — und ergeben so eine flexible Architektur

Der zentrale Vorteil dieses Aufbaus ist, dass wir zwar eigene Entwicklungsaufwände für die Architektur und die eigentlichen Produkte haben — dies aber nur begrenzt. Zum einen können wir in Polygon durch die richtige Auswahl moderner, möglichst standardisierter, unkomplexer Tools diese Aufwände in Grenzen halten, und auch die Kosten halten sich im Rahmen: Wir nutzen viele kosteneffiziente Module und Open-Source-Lösungen. Zum anderen können wir Module, die sich später als nicht mehr zeitgemäß oder unpraktisch erweisen, mit relativ geringem Aufwand austauschen, weil ein solcher Wechsel nur eine Komponente berührt und nicht das ganze System. Kurz, wir arbeiten zwar mit Partnern auf dem Markt, ohne aber zu abhängig zu werden, denn wir behalten immer die Eignerschaft über die Gesamtlösung.

Diese Modularität, verbunden mit dem skalierungs- und adaptionsfähigen Hosting in der Cloud, verbindet sich besser mit agilen Entwicklungsmethoden und der OKR-Priorisierung unserer Entwicklungsprozesse als andere Architekturen, weil sie Flexibilität in den Lösungen erleichtert. Neue Technologien wie Voice-Steuerung für digitale Produkte sind leichter umzusetzen, weil die aktuell am besten geeigneten Tools und Services über Schnittstellen aufwandsärmer in den Polygon-Rahmen integrierbar sind.

Zukunftsgerichteter Aufbau: Polygon erleichtert die Integration neuer Technologien

Damit zu den Details. Eine der ersten Anforderungen an das Projekt war, wie wir die existierenden Millionen Adressen von Artikeln, Fotostrecken, Videos etc. auf unseren Webseiten erhalten können, während wir den gesamten Prozess der digitalen Inhaltsproduktion und -auslieferung im Hintergrund verändern. Die Entscheidung für ein sogenanntes Headless CMS — das keine zentrale Logik hat, sondern in dem die redaktionelle Editor-Oberfläche von der Content-Speicherung, -Auslieferung etc. getrennt wird — führte dazu, dass wir für die einzelnen Komponenten nach den aktuell jeweils besten Technologien gesucht haben:

  • Content-Speicherung, -Auslieferung etc.: Um eine robuste, skalierbare Lösung für eine der größten Nachrichtenseiten des Landes zu garantieren, nutzen wir eine Cloud-basierte Speicherlösung für JSON-Objekte in Kombination mit einer Volltext-Suchmaschine, die über Schnittstellen von den verschiedensten Tools angesprochen werden können. Ob die reine Web-Darstellung, die angepasste Präsentation unserer responsiven HTML-Seiten in unseren Apps oder die Artikel-Versionen für Google AMP: Die Auslieferung unserer Inhalte über verschiedenste Server- und Browser-basierte Services kann durch diese Architektur relativ schnell auf technische Neuerungen oder neue Anforderungen an unsere Produkte reagieren. Außerdem senkt die Auslieferung über die Cloud — in unserem Fall Googles Cloud-Lösung, ein Wechsel zu anderen Anbietern wäre indes durch die Modularität strukturell möglich — die Kosten und erleichtert, dass andere Web-Services daran andocken können.
  • Editor für die Redaktion: Wir haben Statamic als Standard-CMS mit einer flexiblen und reichhaltigen Nutzeroberfläche identifiziert, das die komplexen Arbeitsabläufe der Online-Redaktion und in der Verlängerung auch die Kombination mit der Print-Produktion unterstützt. Die Redaktionen der SPIEGEL-Gruppe haben in den vergangenen Jahren mit den begrenzten Möglichkeiten des in die Jahre gekommenen Systems CE zu kämpfen gehabt, das zudem fehleranfälliger wurde und nicht in allen Browsern zu nutzen war. Statamic funktioniert prinzipiell nun nicht nur in jedem Browser, sondern auf jedem Gerät und mit mehreren Nutzern zugleich in einem Artikel, so dass zum Beispiel ein Redakteur noch an einem Text schreiben kann, während der Chef vom Dienst die Überschrift anpasst und der SEO-Kollege die Suchmaschinenoptimierung übernimmt. Statamic bietet auch eine gute Versionsverwaltung von Texten, was später im kombinierten Arbeiten mit Print-Bezug für die Absicherung der Text- und Dokumentationsqualität noch wichtiger wird. Zugleich werden Layout- und Formatierungsarbeiten leichter, die Datenstruktur passt ideal zu unserem neuen Designsystem, und die Ausspielung von Inhalten über verschiedene Webseiten hinweg — wie wir es für unsere einzelnen Marken SPIEGEL, bento, manager magazin und Harvard Business manager brauchen — wird ebenso erleichtert.
Editor Statamic: Gebaut für reichhaltiges Artikellayout mit einfacher Versionskontrolle und den Einsatz auf mehreren Webseiten zugleich

Iterative Einführung. Die Umstellung auf eine neue technische Architektur ist in aller Regel so komplex, dass wir uns gegen eine Einführung auf einen Schlag entschieden haben. Zunächst haben wir unser junges Angebot bento auf einer ersten Version der neuen Plattform gestartet, dann nach ersten Justierungen unser Abo-Modell SPIEGEL+, das bisher losgelöst vom restlichen digitalen Angebot des SPIEGEL lief und erst jetzt in einer einheitlichen Architektur zusammengeführt ist. Beide Male mussten wir nur kleine Fehler beheben, das System lief sofort stabil. Dieses iterative Vorgehen machte dann einen Schwenk für die gesamte Webseite logisch und minimierte das Risiko, dass die neue Architektur in ungeahnte Probleme kommt.

Mit der Umstellung von spiegel.de ist nun der größte Schritt in dem Reformprojekt getan, allerdings bei weitem nicht der letzte. In den kommenden Monaten werden auch die anderen Webseiten unserer Gruppe auf Polygon umgezogen, und parallel haben wir die Konzeption begonnen, wie die Print-Produktion in die Logik zu integrieren ist. Bisher müssen in der Strecke zwischen der gedruckten und der digitalen Magazin-Ausgabe und unserer Webseite ein gutes Dutzend Lösungen miteinander kommunizieren und Daten verarbeiten. Unser Ziel ist, dass jeder Text im Haus von Anfang an digital produziert und damit publizierbar ist. In unsere neue Architektur lassen sich über Schnittstellen jedoch auch Print-Programme wie InDesign und Woodwing integrieren. Nach zweieinhalb Jahren Arbeit am Aufbau von Polygon wird als nächstes diese Modernisierung die Techlab und die IT der SPIEGEL-Gruppe beschäftigen.

Fragen zu Polygon? Beantwortet die SPIEGEL Tech Lab GmbH, Ericusspitze 1, 20457 Hamburg, Telefon +49 40 380 80-480, techlab@spiegel.de

In diesem Blog werden wir in den kommenden Wochen noch auf weitere technische und designerische Themen unseres Relaunchs eingehen — darunter neue Infrastrukturen unserer IT und das neue Designsystem.

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