Künstliche Intelligenz und der Journalismus: wie wir beim SPIEGEL darüber denken

DEV SPIEGEL
5 min readJun 12, 2023

Die rasante Entwicklung der künstlichen Intelligenz (KI) hat das Potential, unsere Gesellschaft grundlegend zu verändern — und damit auch den Journalismus. Einzelne Medien publizieren bereits von KI erstellte Inhalte. Andere setzen, wie SPIEGEL und manager magazin, auf KI-Tools in der Produktion oder nutzen KI-generierte Bilder, jeweils transparent deklariert, im Rahmen der Berichterstattung dazu. Gleichzeitig läuft die Debatte um eine mögliche Regulierung auf Hochtouren.

Roboter verkauft Zeitschriften an einem Kiosk in Italien — Dall-E und Adobe Firefly

Wir in der SPIEGEL-Gruppe wollen künstliche Intelligenz sinnvoll einsetzen, um das Angebot für Nutzer:innen zu verbessern und unsere internen Abläufe effizienter zu gestalten. Gleichzeitig sind wir unseren journalistischen Standards und Prinzipien verpflichtet, denn das Vertrauen unserer Leser:innen in die Marke SPIEGEL ist unser wichtigstes Gut. Dieser Text wirft einen Blick auf die Herausforderungen, denen sich ein Haus wie der SPIEGEL bei der KI-Nutzung gegenübersieht, auf die Leitlinien, an denen wir uns orientieren wollen und auf die Frage, wie die Tech-Plattformen und die Medienhäuser konstruktiv zusammenarbeiten können, um KI für die Gesellschaft sinnvoll einzusetzen, die Rolle unabhängiger Medien zu stärken und damit das Vertrauen der Nutzerinnen und Nutzer zu sichern und zu stärken.

In den letzten Wochen haben wir uns deshalb auf ganz unterschiedlichen Ebenen des Hauses mit künstlicher Intelligenz auseinandergesetzt. Eines der Resultate der Diskussion sind Leitlinien, an denen wir uns in der Redaktion, in der Dokumentation, in Produkt & Vertrieb aber auch in den anderen Bereichen der Gruppe orientieren wollen.

Die Grundsätze zum Einsatz künstlicher Intelligenz in der SPIEGEL-Gruppe

  • Künstliche Intelligenz (KI) wird uns helfen, unser Angebot für unsere Nutzerinnen und Nutzer zu verbessern und unsere Arbeit zu vereinfachen. Insbesondere bei der Automatisierung sehen wir Potential, unsere Abläufe zu verbessern, während die Chancen für den SPIEGEL bei KI, die Inhalte ganz neu generiert, weniger klar zu fassen und die potenziellen Risiken größer sind. Wir wollen uns den Möglichkeiten, die KI-Systeme bieten, aber in jedem Fall mit großer Offenheit nähern und unsere Teams genauso wie einzelne Mitarbeitende ermutigen, sich damit auseinanderzusetzen.
  • Das Vertrauen unserer Nutzerinnen und Nutzer in unseren Journalismus ist unser wichtigstes Gut. Wie bei jeder Technologie, die wir einsetzen, gilt: Wir sind für alle unsere Inhalte verantwortlich. Die Kontrolle über alles, was wir publizieren, liegt deshalb immer beim SPIEGEL — entweder, indem mithilfe von KI generierte oder bearbeitete Texte noch einmal abgenommen oder zumindest, indem die Kriterien für die Textgenerierung und -veränderung klar definiert werden.
  • Wir setzen künstliche Intelligenz in unseren eigenen Produkten niemals ohne Aufsicht oder klare Spielregeln ein und prüfen, ob das Resultat unseren strengen Ansprüchen an Faktentreue, Ausgewogenheit und kritische Unabhängigkeit gerecht wird. Wir stellen durch Prüfmechanismen und Abnahmen insbesondere sicher, dass die sogenannten „Halluzinationen” generativer KI nicht zur Publikation kommen. Spielen Systeme der künstlichen Intelligenz eine maßgebliche Rolle bei der Aufbereitung oder Darstellung textlicher Inhalte, deklarieren wir dies für die Leserinnen und Leser immer transparent und klar erkennbar. Gleiches gilt für Bilder, die mit künstlicher Intelligenz erstellt oder wesentlich verändert wurden.

Neben den „großen” Fragen, wie künstliche Intelligenz die Medienlandschaft und unsere Gesellschaft verändern wird und wo hier die Chancen für ein Haus wie den SPIEGEL liegen, gibt es jedoch auch noch ganz pragmatische Fragestellungen. Welche Daten wollen wir in KI-Modelle einspeisen? Wo liegen rechtliche und ethische rote Linien? Und die Frage aller Fragen: Wer im Haus kann alles Software-Lizenzen erwerben? Auch in diesen Fragen haben wir gemeinsame Leitlinien erarbeitet, um Datenschutz, eine Auseinandersetzung mit ethischen Fragestellungen rund um künstliche Intelligenz und einen Austausch innerhalb unseres Hauses sicher zu stellen.

  • Wir kopieren keine vertraulichen Personen- oder Unternehmensdaten in KI-Systeme, die keine Datenschutz- und Sicherheitsprüfung durchlaufen haben.
  • Wir achten bei der Auswahl von Systemen der künstlichen Intelligenz darauf, dass sich diese im geltenden Rechtsrahmen bewegen und die Anbieter bereit sind, ethische Debatten über KI ernsthaft zu führen
  • Wenn wir Dienstleister einsetzen, die ihrerseits mit KI arbeiten, achten wir darauf, dass die beiden zuvor genannten Kriterien von diesen erfüllt werden.
  • Wir dokumentieren unsere Tests und Erfahrungen mit KI und tauschen uns dazu innerhalb des Unternehmens, mit anderen Medien sowie mit weiteren Partnern aus.

Nicht zuletzt ist uns klar: Aufgrund des hohen Tempos der KI-Entwicklung ist es unmöglich, heute bereits alle Chancen und Risiken abschließend einzuschätzen. Daher werden wir die Grundsätze kontinuierlich an die spezifischen Risiken und Chancen anpassen.

Der Blick nach innen reicht nicht aus — wie arbeiten wir konstruktiv zusammen?

Es reicht jedoch nicht aus, sich die Frage zu stellen, wie Medien künstliche Intelligenz für die Verbesserung ihres Angebotes einsetzen können. Die Auswirkungen der Revolution, die uns in den nächsten Jahren erfassen wird, reichen weit über diese Innensicht eines Medienhauses hinaus. Die Grundsätze der Transparenz und der Offenheit, verbunden mit einem Bewusstsein für die Verantwortung, die mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz verbunden ist, und des gegenseitigen Lernens gelten auch für die Zusammenarbeit zwischen den großen Tech-Plattformen und den Medien im ganzen digitalen Ökosystem.

Deshalb haben wir uns früh die Frage gestellt, wie die großen Technologie-Plattformen, die nicht nur die Entwicklung künstlicher Intelligenz, sondern vor allem auch ihren Einsatz in unserem Alltag maßgeblich mitbestimmen und wir als Medienhäuser konstruktiv zusammenarbeiten können. Es gilt genauso zu verhindern, dass sich die Medien hinter einer reinen Regulierungs- und Leistungsschutzrecht-Debatte verschanzen, wie wir alle ein Interesse daran haben, dass sich die großen Technologie-Plattformen als Innovationstreiber ihrer besonderen Verantwortung im Einsatz von künstlicher Intelligenz bewusst sind.

Der Austausch zwischen der Technologie- und der Verlagsbranche ist deshalb von großer Bedeutung, um die Interessen beider Seiten zu wahren. Die gemeinsame Entwicklung von ethischen Richtlinien und die gegenseitige Unterstützung bei der Umsetzung können eine Grundlage für eine nachhaltige Partnerschaft schaffen. Wir haben unter anderem die Chance,

  • gemeinsam auf das Ziel einer informierten Gesellschaft hinzuarbeiten,
  • ethische Rahmenbedingungen zu etablieren, um Desinformation entgegenzuwirken und die Qualität von Informationen zu verbessern,
  • durch gemeinsames Experimentieren Chancen und Risiken früh zu erkennen,
  • die Rolle des Journalismus in unseren Demokratien zu stärken, indem wir seine besondere Bedeutung respektieren,
  • Respekt für die Rechte alle Partner zu bewahren, um das Verhältnis zwischen Technologieunternehmen und Verlagen nicht zu schädigen,
  • eine faire Verlinkung auf die zugrundeliegenden Inhalte zu gewährleisten, um die Qualität KI-gesteuerter Angebote zu verbessern,
  • ein verantwortungsvolles und qualitativ hochwertiges Mining von Inhalten sicherzustellen, um die Entwicklung von KI-Fähigkeiten voranzutreiben,
  • auf offene technologische Lösungen zu setzen, um verlässliche Informationen bereitzustellen,
  • und durch Transparenz und Feedback-Möglichkeiten genauso Vertrauen in künstliche Intelligenz zu schaffen wie auch ihre Weiterentwicklung zu ermöglichen.

Die Debatte über einen solchen Rahmen für eine Zusammenarbeit zwischen Medienhäusern und Technologieplattformen geht es genauso zwischen einzelnen Unternehmen wie auch als Branche zu führen. Wir beim SPIEGEL wollen diese Debatte offen angehen und damit neben den Möglichkeiten künstlicher Intelligenz für unser Haus auch die Chancen und Risiken für die Medienbranche als Ganzes mit im Blick haben.

Dabei stehen unser Verantwortungsbewusstsein für die Marken SPIEGEL, manager magazin und Harvard Business manager und den Journalismus im Vordergrund. Die internen Grundsätze zum Einsatz von KI in der SPIEGEL-Gruppe dienen als Leitlinien, um sicherzustellen, dass KI-Systeme verantwortungsvoll eingesetzt werden und den journalistischen Standards und Prinzipien gerecht werden. Und durch den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen Technologieunternehmen und Verlagen können wir eine Informationslandschaft schaffen, die auf Vertrauen, Qualität und ethischen Grundsätzen basiert.

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