Auf dem Weg zum neuen SPIEGEL+

DEV SPIEGEL
6 min readDec 5, 2023

Stärken stärken und fortgesetzt in die Transformation investieren: Wie wir als Digital-first-Unternehmen mit einer weiterentwickelten Pay-Strategie nachhaltig wachsen wollen

Die SPIEGEL-Gruppe ist seit diesem Jahr ein überwiegend digitales Unternehmen. Etwas mehr als die Hälfte aller Vertriebs- und Anzeigenumsätze kamen 2023 aus den digitalen Märkten (bereinigt um unmittelbare Provisionen und Dienstleistungen). Sechs Jahre nach dem Start unseres Pay-Angebots SPIEGEL+ ist dieses Geschäftsmodell damit zu einer zentralen Größe geworden, das unseren unabhängigen Journalismus nachhaltig finanzieren hilft — die Erlöse daraus tragen heute den Gutteil des digitalen Wachstums.

In diesem Herbst stellen wir nun die Weichen dafür, die Transformation unserer Produkte bis 2025 noch einmal voranzutreiben. „Das neue SPIEGEL+“ soll binnen zwei Jahren entstehen und dann jährlich 75 Millionen Euro Pay-Umsatz bringen — ein Einblick in die Entwicklungen, die uns gerade bewegen.

Von vorne. Der SPIEGEL wird solide durch das Krisenjahr 2023 kommen, mit einem absehbaren Jahresüberschuss der Unternehmensgruppe um die 20 bis 25 Millionen Euro ohne Sondereffekte. Und dies, obwohl die Print-Vertriebsumsätze innerhalb eines Jahres prognostiziert um sieben Millionen Euro nachgeben dürften und auch die Werbeerlöse krisenbedingt deutlich sinken. Nach allem, was wir aus dem Wettbewerb wissen, schneiden unsere gedruckten Magazine im Vergleich noch gut ab. Aber die Herausforderungen für die gesamte Branche sind in der Krise größer geworden. Was nun den Wandel hin zu einem Digital-first-Unternehmen beschleunigt. Der digitale Pay-Umsatz ist fast auf Höhe unserer Prognosen, auf jeden Fall viel besser als in den Worst-Case-Szenarien erwartet. SPIEGEL+ wächst am Ende um sieben Millionen Euro — wobei zu erwähnen ist, dass die Kostenvorteile von digitalen Abos inzwischen enorm sind gegenüber Print (wo Druck und Logistik zusehends mehr kosten) und es außerdem eine erfolgreiche digitale Preiserhöhung zur Jahresmitte gab.

Schaut man weiter zurück, hatten wir nach dem Start von SPIEGEL+ 2018 zunächst Jahre des Booms — nicht zuletzt während der Corona-Pandemie. Das Bedürfnis nach verlässlichen, hochwertigen Informationen war damals besonders hoch, was sich in besonders vielen Abo-Abschlüssen spiegelte. In jenen Jahren haben wir uns ein finanzielles Polster erarbeitet, das uns jetzt in einem relativen Krisenjahr zugutekommt. Denn trotz verringerten Jahresüberschusses sind weiter Investitionen möglich, um unser Pay-Wachstum voranzutreiben und schnellstmöglich ein nachhaltiges digitales Geschäftsmodell für unseren Journalismus zu erarbeiten.

Wie weit wir dabei gekommen sind, zeigen ein paar konkrete Zahlen: Genau 51 Prozent Digitalanteil sind in den Vertriebs- und Anzeigenmärkten zusammen für 2023 prognostiziert, und 54 Prozent für 2024. Im kommenden Jahr werden wir außerdem vermutlich erstmals mehr Erlöse mit Digital- als mit Print-Abos machen, und im darauffolgenden Jahr in etwa so viel wie mit dem gesamten Print-Vertrieb. Bald ist SPIEGEL+ nicht nur die rentabelste, sondern auch die größte Auflagensparte (heute: 295.000 von 675.000 IVW-Exemplaren). Wie gesagt, liegt dies an Print-Rückgängen wie digitalem Wachstum zugleich — was jetzt zu einigen Folgerungen für unsere Digital-first-Strategie führt.

1. Print-Kund:innen sollen künftig immer einen Digitalzugang erhalten — damit unsere digitalen Angebote für alle, die unabhängigen Journalismus finanzieren wollen, zur alltäglichen Gewohnheit werden, gewissermaßen zur persönlichen Basis für aktuelle Information und Weltverständnis. An einer solchen Always-digital-Logik für alle Abonnent:innen führt mittelfristig kein Weg mehr vorbei, wenn wir unser Geschäftsmodell digital zu Ende denken. Technisch ist das nicht trivial. Wie gibt man zum Beispiel einem Kioskkäufer digitalen Zugang? Wie erfasst man Print-Abonnent:innen, die über Vertriebspartner gekauft haben? Hier werden wir neue technische Ansätze und Systeme einführen müssen.

2. Wir wollen möglichst viele Kund:innen selbst kennen — und die Rolle Dritter reduzieren. Zum Beispiel Apple und Google: Was über deren Stores verkauft wird, führt nicht zwingend zu einer Kundenbeziehung zu uns, weil sie keine Daten von sich aus weitergeben. Wir müssen diese eigenständig noch mal erheben, aber freiwillig, was oft schwierig ist. Die Folge ist, dass wir diesen Kund:innen nicht so leicht maßgeschneiderte Angebote machen können, zum Beispiel für Kombi-Abos mehrerer Marken oder für länger laufende vergünstigte Abos. Am Ende werden wir deshalb wohl öfter Logins in unseren Apps und auf unseren Seiten erbitten oder verlangen — gerade weil die Tech-Plattformen rigider werden und mehr persönliche Daten bei sich behalten wollen.

3. Wir werden das wöchentliche Heft keineswegs vernachlässigen — sondern bewusst und für sich weiterentwickeln. Dies immer mit der Prämisse, dass die Aktualität im Digitalen unsere neue Basis ist und dass vor allem am Wochenende in Print eher noch mehr Wettbewerb von Print-Titeln entstehen wird, weil das die neue Lesezeit schlechthin ist.

4. Wir werden unsere Paywall am Ende recht dynamisch ausspielen, also neue Zielgruppen locken, weil sie anfangs mehr frei sehen — aber zugleich weniger durchlässig werden für bezahlbereite Vielleser:innen. Wer uns viel nutzt, wird mehr SPIEGEL+ sehen. Und Texte mit mehr Konversionspotential werden in manchen Fällen automatisch als SPIEGEL+ ausgewiesen werden.

Last, not least: Wir werden weiter in unsere Inhalte investieren. Bei unseren und vielen anderen Pay-Angeboten reüssieren seit langem Texte mit Lese- und Nutzwert, die eher zeitlos als hochaktuell sind. Hier werden wir uns auf Themenfeldern wie Fitness, Arbeit und Verbrauchertipps gezielt stärken. Auch für einen Ausbau von News und Meinungsstücken sind neue Stellen geplant. Denn viele Abonnent:innen schätzen zum Beispiel nicht nur die klassischen längeren SPIEGEL+-Texte, sondern auch das, was intern „freie Nachrichtenstücke“ genannt wird: nachrichtliche Texte, für die man nicht zahlen muss, die aber zahlende Kund:innen mindestens genauso binden, sofern sie verständlicher, übersichtlicher und hintergründiger sind als sonst auf Nachrichtenseiten. Dito bei Meinungsstücken: Eine Vielfalt von Perspektiven wird belohnt, sobald es zu einem Wettbewerb möglichst kluger Gedanken über kontroverse Themen kommt. Dazu planen wir noch Investitionen in andere Kanäle, Video, Audio — oder auch 11FREUNDE als neues, ergänzendes Angebot im Sport. Letztlich dreht sich alles um eine Art journalistisches Vollsortiment, mit hohem Anspruch und ansprechend präsentiert. Mit diesem Angang sind wir nicht alleine, deshalb ist gerade diese Investition zeitkritisch. Wir werden die Neuerungen Zug um Zug in unser aktuelles Angebot einbauen, also unseren Kern stärken — aber auch den Kern erweitern und mit neuen täglichen Produktformen experimentieren, zum Beispiel einer Mischung aus digitalen Magazinen und Newslettern („Magletter“, dazu mehr zu einem späteren Zeitpunkt).

Wir haben dieses Paket intern „das neue SPIEGEL+“ genannt, weil es so viele grundlegende Weichenstellungen trifft wie seit Jahren nicht mehr. Am Ende werden so im Abo-Vertrieb neue Varianten entstehen können, um Leser:innen zu erreichen, die uns heute zwar schätzen, aber noch nicht abonnieren würden — was schließlich doch noch zu einem weiteren, fünften strategischen Justierungspunkt führt:

5. Wird es künftig ein Basisabo für News und ein teureres Vollabo geben? Werden wir — wie konkurrierende Publisher — ein Games- oder andere Nischenabos auskoppeln? Genereller: Mit welcher Angebotspalette überzeugen wir die Zielgruppen, die uns schätzen, aber nicht bezahlen, auch wenn sie von ihrer Grundeinstellung her bezahlen würden? Wie alle im Markt brauchen wir hier mehr Spielarten, mehr Flexibilität, auch deshalb der Name: „das neue SPIEGEL+“.

Unsere Pay-Umsätze legen zwar noch regulär zu, und trotzdem müssen wir uns jetzt mit diesen Fragen befassen, um nicht Zeit zu verlieren. Wir sehen Anzeichen, dass die Phase des allgemeinen digitalen Abo-Wachstums endet, bestärkt durch die allgemeine Krise, und mehr Wettbewerb um die Aufmerksamkeit von Nutzer:innen einsetzt, also Medien sich gezielter Gedanken über die Mehrwerte machen müssen, die sie in deren Leben schaffen.

Darum muss jeder unserer nächsten Entwicklungsschritte mit Blick auf mehr Freiheits- und Experimentiergrade in unserer Pay-first- und Digital-first-Strategie konzipiert werden. Und wir müssen zugleich alles dafür tun, beständig die Erwartungen der Nutzer:innen an den SPIEGEL als Vertrauensmarke zu erfüllen — also Potenziale angehen und Stärken stärken.

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